Neonazis trainieren in Leipzig den Box-Nachwuchs

Das „Bushido Sportcenter“ in Leipzig-Paunsdorf ist nicht besonders groß, aber bestens ausgestattet. Es gibt einen Fitnessraum und einen Ring fürs Kampfsporttraining. An einem Dienstagabend versammeln sich auf der Matte ein Dutzend Sportlerinnen und Sportler zum Boxkurs. Die meisten sind Anfänger. Einige bandagieren sich ihre Hände, andere machen Faxen. Dann geht ihr Trainer die Runde ab, ein muskulöser Mann mit Basecap und rotem Bart. „Hallo, ich bin Brian“, sagt er und lässt alle in einer Reihe antreten. Hände an die Oberschenkel, ein gemeinsames „Sport frei“, dann geht es los. Was wirkt wie der Beginn einer harmlosen Trainingsstunde, besorgt Kampfsport-Experten, Sozialarbeiter und die Stadt Leipzig. Denn der Mann, der hier Erwachsene und Jugendliche trainiert, ist Brian E. – ein erfahrener Boxer und verurteilter Gewalttäter mit rechtsextremer Gesinnung.
Er war einer der Neonazis, die 2016 den Leipziger Stadtteil Connewitz überfielen, Läden demolierten und Sprengsätze zündeten. E.bekam wegen Landfriedensbruchs eine Bewährungsstrafe.

Leipzig ist dem sächsischen Verfassungsschutz zufolge ein Hotspot für rechtsextreme Kampfsportler. Die Szene ist demnach zwar im ganzen Freistaat aktiv. Aber anders als etwa in Chemnitz oder Dresden gibt es in Leipzig gleich mehrere einschlägige Studios. Es gibt die, in denen Rechtsextreme weitgehend unter sich bleiben. Und es gibt das „Bushido Sportcenter“, untergebracht im Einkaufszentrum Paunsdorf Center – offen für alle und auf den ersten Blick völlig normal. Das Jugendamt der Stadt Leipzig aber hat andere Erkenntnisse. Das Amt teilte auf LVZ-Anfrage mit, dass es sich zuletzt eingehend mit dem Studio beschäftigt habe. Das Ergebnis: „Eine Gefährdung für das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern oder Jugendlichen konnte nicht ausgeschlossen werden“, so das Jugendamt.

Für das „Bushido Sportcenter“ hat das Konsequenzen. Bis vor Kurzem wurde das Studio zusammen mit anderen Anbietern in Leipzig besonders gefördert. Für Kurs- oder Mitgliedsbeiträge konnten Kinder aus Familien mit geringen Einkommen einen Zuschuss bekommen. Ende Februar ist das „Bushido“ nach Angaben des Jugendamtes aus dieser Förderliste gestrichen worden. Grund ist dem Amt zufolge, dass das Studio einer städtischen Arbeitsgruppe zur Extremismusprävention „immer wieder aufgefallen“ sei. Unter anderem, so das Jugendamt, positioniere sich einer der führenden Boxtrainer des Studios in den sozialen Medien demokratiefeindlich.

Das Angebot im „Bushido Sportcenter“ ist vielfältig: Es gibt Ernährungsberatung und diverse Fitness-Kurse. Kinder und Jugendliche toben sich beim Thaiboxen oder Krav Maga aus. Als Mitglied des Studios sei man Teil einer Familie, verspricht das „Bushido“. Doch was, wenn jemand wie Brian E. auch dazugehört? Wer Neonazis duldet, mit ihnen trainiert, trägt zur Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut bei“, sagt Robert Claus. Er ist Experte für Kampfsport und Rechtsextreme, beobachtet die Szene schon lange für das Präventionsprojekt „Vollkontakt“. Das „Bushido Sportcenter“, sagt Claus, sei vor allem ein kommerzielles Studio, bei dem aber Fairness oder respektvoller Umgang nicht unbedingt im Mittelpunkt stünden. „Die einen nennen es Mobbing, wir nennen es Training“ – mit diesem Spruch hat das Studio in der Vergangenheit um neue Mitglieder geworben. Ein Witz sei das gewesen, betont die Studioleitung gegenüber der LVZ, für solcherlei brauche man Humor. Bei uns darf jeder rein. Und dann ist da eben Brian E., der nach LVZ-Recherchen im „Bushido Sportcenter“ auch Anfänger trainiert. Als ein Jugendlicher beim Boxkurs an jenem Dienstagabend abgelenkt ist, schickt ihn Brian E. runter auf die Matte: zehn Liegestütze. Einer aus der Trainingsgruppe mischt sich ein. Es ist ein muskulöser Typ mit Glatze, der ebenfalls in der rechtsextremen Kampfsport-Szene vernetzt ist. Der Mann grinst und findet, alle sollten die Liegestütze machen. Das erhöhe die Disziplin.

Die Leitung des „Bushido Sportcenters“ bestreitet im Gespräch mit der LVZ zunächst, dass Brian E. in dem Studio als Trainer arbeitet. Auf Nachfrage heißt es dann: E. springe hin und wieder als Leiter von Boxkursen ein. Mit der Vergangenheit von E. hat die Studioleitung dabei keine Probleme. Sie verweist darauf, dass der rechtsextreme Überfall auf Connewitz, an dem Brian E. beteiligt war, lange zurückliege, er seine Strafe dafür bekommen habe. Fordere man weitere Konsequenzen dafür, dann sei das „politische Hetze“. Überhaupt spielten die politischen Einstellungen von Trainern oder Mitgliedern für das „Bushido Sportcenter“ keine Rolle. „Das ist hier ein Sportstudio. Hier geht es um Sport und um Spaß“, sagt die Studioleiterin. Man diskriminiere niemanden. „Bei uns darf jeder rein. Brian E. ist da ganz offenbar keine Ausnahme. E. hat, so sagte er das selbst bei einer Zeugenaussage vor Gericht im Frühjahr 2022, in Leipzig eine „zweifelhafte Prominenz“ erlangt. Als er wegen seiner Beteiligung an den Neonazi-Randalen in Connewitz vor Gericht stand, druckte die „Bild“-Zeitung ein unverpixeltes Foto von ihm. Zu sehen sind dabei auch die Tattoos auf seinem Oberkörper, unter anderem Teile einer sogenannten „Schwarzen Sonne“. Sie gilt als Erkennungszeichen unter Rechtsextremen.E. hat in einem Prozess Anfang 2020 gesagt, seine Tattoos hätten mythologische Hintergründe.

Zuletzt spielte die politische Haltung von Brian E.im Prozess gegen die mutmaßliche linksextreme Bande um Lina E.eine Rolle.
Dort sprach Brian E. im Frühjahr 2022 über seine „zweifelhafte Prominenz“, antwortete auf Fragen zu seiner Beteiligung am rechtsextremen Überfall auf Connewitz und bezeichnete sich selbst als „Rechten“ und „eher rechtsorientiert“. Auf Fragen der LVZ nach seiner politischen Einstellung und seiner Tätigkeit im „Bushido Sportcenter“ antwortete Brian E. inhaltlich nicht und nannte die Recherchen der LVZ eine „Hexenjagd“. Brian E. sollte bei „Ostdeutschland kämpft“ in Dölzig antreten. Das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen beobachtet Kampfsporttraining innerhalb der rechtsextremen Szene schon lange mit Sorge. Über den Sport befähige man sich, „unter Umständen schwere bis schwerste Körperverletzungen ausüben zu können“, heißt es in einer Einschätzung. Die Entwicklung sei „besorgniserregend“, auch weil Rechtsextreme professionelle Strukturen schafften, eigene Kampfsportgruppen gründeten. Man trifft sich bei gemeinsamen Trainings oder tritt gegeneinander an, bei konspirativen Kämpfen oder ganz offiziell bei rechtsextremen Veranstaltungen wie dem „Tiwaz“ oder „Kampf der Nibelungen“.

„Disziplin ist alles“: Rechtsextreme Kampfsportevents wie der „Kampf der Nibelungen“ dienen der Szene in Leipzig zur Vernetzung.

800 Menschen kamen in die Großraumdiskothek „Sax“ im Schkeuditzer Stadtteil Dölzig. „Ostdeutschland kämpft“ gibt es dort schon seit mehreren Jahren, inklusive offiziellem Vorverkauf, öffentlicher Werbung, Sponsoren. Aber was wie ein normales kommerzielles Event aussieht, halten Rechtsextremismus-Experten für ein Vernetzungstreffen von Neonazis und Hooligans. Bei der Veranstaltung waren, so sagte es auch eine Sprecherin des sächsischen Verfassungsschutzes der LVZ, „mehrere Rechtsextremisten als Kämpfer angekündigt“.“Unter den Sponsoren von „Ostdeutschland kämpft“ war auch das „Bushido Sportcenter“. Das Studio warb unter anderem auf dem Plakat für die Veranstaltung mit seinem Logo und trainierte gezielt Kämpfer für die Veranstaltung. Auf Nachfrage zweifelt einer der führenden Boxtrainer im „Bushido“ die Aussagen des Verfassungsschutzes an – in Bezug auf die Veranstaltung und ganz generell. Auch Brian E. sollte dieses Jahr bei „Ostdeutschland kämpft“ in den Ring steigen, posierte mit nacktem Oberkörper und seinen Tattoos auf dem Werbeplakat für die Veranstaltung. Beim Kampf musste er dann wegen einer Verletzung passen.

Sozialarbeiter in Leipzig, Paunsdorf wegen „Bushido“ gesondert geschult

„Dass Rechtsextreme sich über den Kampfsport vernetzen, teilweise auch für Gewalt jenseits des Rings trainieren, ist seit Jahren bekannt. Scheinbar normale Studios wie das „Bushido Sportcenter“ machen Experten wie Robert Claus aber aus anderen Gründen Sorgen. „Wir wissen doch, wie das läuft: Der Trainer ist nett, man kommt ins Gespräch, vielleicht verabredet man sich auch mal zum Konzert“, sagt er. Der Einstieg in die rechtsextreme Szene geschehe nicht über politische Indoktrination, sondern Erlebniswelten, wie eben Sport oder Musik.
Genau deswegen beschäftigen sich in Paunsdorf auch Sozialarbeiter mit den Vorgängen im „Bushido Sportcenter“. In dem Stadtteil leben überdurchschnittlich viele Menschen mit geringem Einkommen, die Probleme in manchen Familien sind groß. „Wir reden hier von vulnerablen Gruppen, die Kinder und Jugendlichen suchen nach Orientierung“, sagt eine Sozialarbeiterin, die anonym bleiben möchte. Sie fürchtet sich vor Übergriffen.
Das Leipziger Jugendamt betont im Zusammenhang mit dem „Bushido“, wie wichtig der Stadt die „Prävention von Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ sei. Deshalb gab es für die Sozialarbeiter in Paunsdorf zuletzt auch eine Weiterbildung. Experte Robert Claus von „Vollkontakt“ erklärte dabei, welche Rolle Kampfsport in der rechtsextremen Szene spielt. Mittlerweile versuchen die Akteure, im Stadtteil regelmäßige Trainings anzubieten. „Es geht darum, Alternativen zu schaffen“, sagt die Sozialarbeiterin in Paunsdorf. Der Bedarf sei groß.